Ich möchte euch über die 3,5-tägige Konferenz des Internationalen Rats der Christen und Juden in Salzburg berichten.
135 Teilnehmer:innen aus über 24 Länder nahmen teil und aus der Schweiz waren vertreten:
- Christian Rutishauser und Martin Steiner, Institut für jüdisch-christliche Forschung an der Theologischen Universität Luzern
- Erik Ross, Dominikanerpater aus den USA, arbeitet in Genf
- Ioan Sauca, Priester der Griechisch-Orthodoxen Kirche, Weltrat der Kirchen, arbeitet in Genf
- angemeldet aber krank/abwesend: Jehoshua Ahrens, Rabbiner in Bern
Am Sonntagabend fand die Verleihung des Seelisberg-Preises statt: Edward Kessler, ein Professor aus England wurde ausgezeichnet. Ed Kessler leitet das Woolf Institut in Cambridge und er hat ein Dutzend Bücher und viele Publikationen über den Jüdisch-Christlichen Dialog geschrieben. Seine jüdische Familie stammt aus Österreich und ist vor dem Krieg nach England geflüchtet.
Vom Montag bis Mittwoch fanden zahlreiche Plenums, Panels, Workshops und Kleingruppendiskussionen zum Thema «Heiligkeit: Religiöser Imperativ und moralische Verpflichtung?» statt. Auf den Panels waren Vertreter:innen aus den drei mosaischen Religionen in vielen Facetten (orthodox, westlich, östlich, latina, israelisch, asiatisch) und aus zahlreichen christlichen Konfessionen (römisch-katholisch; griechisch-orthodox: Jesuiten, Anglikaner, Dominikaner, Lutheraner, Zwinglianer – Urs 🙂 etc.) am Mikrofon, moderiert von den ICCJ-Vorstandsmitgliedern, die selber auch aus unterschiedlichen christlichen und jüdischen Denominationen stammen.
Ich habe viel von den Orthodoxen aus verschiedenen Religionen gelernt und ich bin erneut beeindruckt und berührt von der Offenheit und der persönlichen Leidenschaft der religiösen Leaders, die sich unter schwierigen und teilweise unmöglichen Bedingungen für den Dialog engagieren. Neu waren für mich die theologischen Konzepte von Heiligkeiten in «Raum»; «Objekte» und «Zeit» und die kontroversen und spannenden Diskussion über die Gefahren von Heiligkeit, wenn die Religion die Politik instrumentalisiert wie in Ägypten oder Iran oder USA. Einige Frauen haben darauf hingewiesen, dass diese Debatten und die Instrumentalisierung von Politik durch die (Extremposition einer) Religion oft über den weiblichen Körper, resp. die Selbstbestimmung von Frauen geführt werden.
Am Montagabend hat ein Team vom Rossing Center in Israel einen «spirituellen Dialog» präsentiert, indem eine christlich-orthodoxe Palästinenserin und eine jüdische Israelin über ihre Erlebnisse rund um die Hamas Terrorattacken am 7. Oktober 2023 berichtet haben und wir in Kleingruppen unsere Reaktionen reflektiert haben. Die Berichte und die Kleingruppendialoge waren sehr emotional und berührend und es war auch als Zuhörer herausfordernd. Nächste Woche versuche ich jemanden vom Rossing Center in Jerusalem zu treffen.
Am Dienstagnachmittag gab es einen Ausflug mit dem Bus nach Bad Ischl, wo wir auf dem katholischen Kavalrienberg in der Kapelle antijüdische und antimuslimische Kirchenschmuck kommentiert haben und verschiedene Führungen angeboten wurden. Ich bin den Spuren von jüdischen Familien vor und nach dem Krieg in Bad Ischl gefolgt, andere haben die Habsburgerpaläste oder die Kaiservilla besucht und die Kriegserklärung für den 1. Weltkrieg besichtigt.
Am Mittwoch hat Christian Rutishauser das neue Studienhandbuch «Jüdisch-christlicher Dialog. Ein Studienhandbuch für Lehre und Praxis» in einem Workshop präsentiert und zur Diskussion gestellt. Drei Mitautoren waren ebenfalls präsent und es entstand eine lebhafte Diskussion über den Stand des jüdisch-christlichen Dialoges, insbesondere aus katholischer Perspektive im deutschsprachigen Raum. Die Schwestern von Zion haben die männliche Autorenliste moniert und die Kirchenrechtler haben den Beitrag zum Kirchenrecht vermisst. Beispiele: Das katholische Kirchenrecht erlaubt im Notfall die Kindertaufe ohne Einwilligung der Eltern und das katholische Kirchengesangbuch enthält weiterhin antijüdische Liedtexte, die Christian Rutishauser in seinen Predigten jeweils umformuliert oder mit dem Filzstift überschreibt. Das katholische Kirchenjahr verschweigt und ignoriert viele Bezüge auf das Judentum – am 1. Januar könnte/sollte/müsste die Beschneidung Jesu erwähnt und gefeiert werden aber dieser Feiertag/Namenstag fehlt, was aus der Perspektive der Jesuiten ein Makel ist. Christian Rutishauser denkt, es braucht eine zweite Ausgabe des Studienhandbuches und die Queerperspektive der Theologie und des jüdisch-christlichen Dialoges sollen auch entwickelt und publiziert werden. Er übernimmt im August 2024 die Professur von Verena Lenzen und er wird auch wieder in Luzern wohnhaft sein. Das Buch kann momentan im Internet nicht in die Schweiz geliefert werden aber die Buchhandlungen können es bestellen; Informationen auch bei Amazon.
Am Donnerstag habe ich als Delegierter der CJA Schweiz an der Jahresversammlung des ICCJ teilgenommen. Wir haben die Jahresberichte des Vorstands, der Theologiekommission, des Abrahamitischen Forums und der Präsidentin bewilligt, die Finanzen abgenommen und einen neuen Vorstand gewählt. Dieser besteht neu aus dem Präsidenten (jüdisch aus den USA), der Vizepräsidentin 1 (katholisch aus Polen), dem Vizepräsidenten 2 (jüdisch aus den USA), dem Kassier (jüdisch aus Deutschland), und den Mitgliedern (reformiert aus der Tschechischen Republik, jüdisch aus Chile) sowie der Expräsidentin (jüdisch aus Frankreich). Die Finanzen werden zu 96% von der deutschen Regierung getragen und die finanziellen Reserven decken drei Jahre der Jahreslöhne des Generalsekretariates (insgesamt 300 Stellenprozente). Viel zu Diskutieren gab die letztes Jahr an der GV getroffene Vereinbarung über die Mitglieder (Länderorganisationen), die ihre Mitgliederbeiträge nicht bezahlen können. In Lateinamerika beispielsweise, ist die Zahlungsmoral aufgrund von Krisen, Währungszerfall usw. schlecht geworden. Der Vorstand sucht individuell nach Möglichkeiten und auch nach Sponsoren. Die Schweiz ist neben Deutschland, England und den USA eine der zahlungskräftigen Mitglieder.
Als Reaktion auf die weltweite Antisemitismuswelle und die Herausforderungen für den interreligiösen Dialog aufgrund der Terrorattacken und des Krieges in Gaza hat der ICCJ-Vorstand eine Stellungnahme für die Neuverpflichtung der Dialogteilnehmer:innen lanciert. Diese wird in den nächsten Tagen in mehreren Sprachen aufgeschaltet und es werden Unterschriften von Kirchen und Einzelpersonen gesammelt und aufgelistet. Infos dazu folgen.
2026 werden sich die Delegierten Ende Juni für eine kleine Konferenz und für die Jahresversammlung in Warschau treffen. Die grosse Konferenz wird 2026 in Stuttgart geplant und im 2027 werden sich die Delegierten anlässlich des 80 Jahre Jubiläums der Seelisberger-Konferenz in der Schweiz im Raum Luzern treffen, auf Einladung der Uni Luzern und des Instituts Jüdisch-Christliche Forschung, übrigens dem einzigen Institut mit diesem Forschungsauftrag in Europa (!).
Urs Urech